Evangelische
Kirchengemeinde
Überlingen
Einladung
Naturwissenschaft und Glaube
Im Pfarrhaus am See
Am 26.09.2018
88662 Überlingen | Grabenstr. 2 |07551-953730
Einleitung
"Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel
in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für deine
Person tun zu können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit
die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht".
Um die Frage zu beantworten, die einer der bedeutendsten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts aufgeworfen hat, gehen
wir von der Frage des Pilatus aus (Johannes 18,38)
"Was ist Wahrheit"?
Wann gelten naturwissenschaftliche Aussagen als "wahr"?
Ausschnitt aus einem Gebet, das versucht, das damalige Weltbild aus Psalm 8 in unsere Vorstellungswelt zu übertragen; im
letzten Taufgottesdienst am See gesprochen
"wenn ich Mond und Sterne betrachte,
die Du nach Deinen Naturgesetzen gesetzt hast"
Um zu verstehen, was Naturgesetze sind, wählen wir ein uns allen bekanntes astronomisches Beispiel:
Sonne und Mond gehen beide auf und unter.
Gibt es dennoch einen Unterschied zwischen den Bewegungen des Mondes und der Erde?
Der Frauenberger Domherr Nikolaus Kopernikus (1473-1543) beantwortete die Frage nach den Bewegungen der Erde mit der Behauptung,
die Erde bewege sich um die Sonne. Er stützte diese seine Behauptung durch einfache, aber scharfsinnige Beobachtungen.
Zusätzlich behauptete Kopernikus, die Erde drehe sich, wie ein Kreisel, um die eigene Achse. Mit dieser Annahme konnte Kopernikus
zwanglos die Erscheinungen von Tag und Nacht erklären.
Diese zweite "Hypothese" des Kopernikus vom "Spin" der Erde, wurde - trotz ihrer Plausibilität - erst im 18. Jahrhundert durch
eindeutige astronomische Beobachtungen bestätigt.
Anders stand es um seine astromische Behauptung, die Erde drehe sich um die Sonne.
Johannes Kepler (1571-1630) gelang es nämlich, aus dem ihm vorliegenden umfangreichen Zahlenwerk des dänischen Astronomen Tycho
Brahe, gewonnen durch viele Beobachtungen, die Aufstellung einer klaren mathematischen Beziehung;
Die Erde wie die anderen Planeten bewegen sich auf Ellipsen um die Sonne.
Die "Keplerschen Gesetze" umfassen noch mehr als die elliptische Bewegung; darauf kommen wir noch zurück.
Auf jeden Fall stützen die Keplerschen Gesetze die Behauptung von Kopernikus zusätzlich. Auch konnte Kepler nun die Mond- und die Sonnenfinsternis zwanglos erklären.
Ein erstes Ergebnis
Es geht in der Astronomie wie allgemein in den Naturwissenschaften um Aussagen, die durch systematische Beobachtungen gestützt und nicht widerlegt sind.
Ein zweites Ergebnis
Durch Beobachtung und Berechnung kommt man in der Physik, Grundlagenwissenschaft auch von Astronomie. Kosmologie, Chemie und
Biologie, zu weiteren Erklärungen von Naturvorgängen, hier der Beobachtung der Sonnen- und der Mondfinsternis.
Ein drittes Ergebnis
Warum sind die Keplerschen Gesetze so und nicht anders?
Der englische Physiker Isaak Newton (1643-1727) hatte darauf die Antwort in seiner, historisch gesehen, ersten physikalische "Theorie".
Um aus der heute "klassisch" genannten, Mechanik von Newton alle drei Keplerschen Gesetze mathematisch ableiten zu können, brauchte
er nur als "Gravitationsgesetz" die zusätzliche Hypothese: Zwei Massen ziehen sich desto stärker an, je "schwerer" sie sind
und je weniger weit sie voneinander entfernt sind.
Neben den Keplerschen Gesetzen lassen sich aus der klassischen Mechanik zum Beispiel die Fallgesetze ableiten. Auch sie werden
durch Experimente bestätigt.
Ein viertes Ergebnis
Empirische Grundlagen aller Naturwissenschaften sind Beobachtung und Experiment.
Aber erst wenn physikalische Begriffe wie "Masse" oder "Kraft", durch Beobachtungen oder Experimente numerisch bestimmt,
anschließend - zusammen mit anderen fundamentalen Begriffen wie zum Beispiel "Energie" - in eine mathematisch formulierte
Theorie eingebaut werden können, gelten Aussagen wie
"die Erde bewegt sich auf einer elliptischen Bahn um die Sonne"
als "physikalisch wahr".
Nun machen wir in Gedanken einen Zeitsprung vom 18. Ins 20. oder 21. Jahrhundert
Diese vier am Beispiel der Planetenbewegungen gewonnenen allgemeinen Ergebnisse gelten auch heute noch.
So auch für "moderne Theorien", wie Quantentheorie (1901-1932) oder Relativitätstheorie (1905-1916).
Relativitätstheorie und Quantentheorie haben die Newtonsche Mechanik als "abgeschlossene Theorie" nicht überflüssig gemacht.
Doch setzen neue den zeitlich vorangehenden physikalischen Theorien, wie Mechanik oder Elektrodynamik, bisher unbekannte
Grenzen der Anwendbarkeit.
Deshalb konstruiert man mit "Newton" auch heute noch mechanische Maschinen aller Art.
Die beiden neuen Theorien widersprechen oft unserer Anschauung. Sie sind nur mathematisch widerspruchsfrei zu formulieren.
Jede der beiden physikalischen Theorien hat zum Beispiel ein eigenes Kausalitätsgesetz.
Zudem bieten die "Spezielle Relativitätstheorie" und die "Allgemeine Relativitätstheorie" gegenüber Newton revolutionäre
Vorstellungen von Raum, Zeit, Energie, Materie und Schwerkraft.
So gilt die Lichtgeschwindigkeit als höchste Geschwindigkeit im Vakuum (Spezielle Relativitätstheorie). Die Newtonschen Mechanik
kennt keine Höchstgeschwindigkeit.
Ein zweites Beispiel: Sowohl Licht als Erscheinung der Energie als auch Elektronen als Bausteine der Materie zeigen sich bei
Experimenten in zweierlei Natur:
Entweder als Teilchen oder als Welle (Quantentheorie).
In der "klassischen Physik" - in Mechanik, Wärmelehre, Elektrizitätslehre oder Optik - wäre, wie auch in unserer Anschauung,
was wir beobachten, entweder als Teilchen räumlich konzentriert oder als Welle räumlich ausgebreitet zu registrieren.
Ein fünftes Ergebnis
Durch Experiment und Beobachtung gestützten Theorien, wie Mechanik, Thermodynamik. Elektrizitätslehre, Optik, Quantentheorie
oder Relativitätstheorie, werden durch Anwendungen in Technik oder Medizin immer wieder neu bestätigt.
Auf eine hochmoderne medizinische Anwendung, die Kernspintomographie, kommen wir noch zu sprechen.
Aussagen, innerhalb dieser Theorien gewonnen und empirisch gestützt, gelten in diesen als "physikalisch wahr".
Ob Christ, Marxist, Moslem, Buddhist oder Atheist: Alle Naturwissenschaftlerinnen, Ingenieurinnen, Medizinerinnen und ihre
männlichen Kollegen akzeptieren beruflich die gleiche "wissenschaftliche Wahrheit".
Da "Gott" weder beobachtet, noch durch Experimente untersucht werden kann, noch als theoretischer Begriff als Bestandteil einer
bewährten physikalischen Theorie unentbehrlich ist, können Naturwissenschaftler oder ihre Kolleginnen keine "naturwissenschaftlich
wahren" Aussagen über "Gott" machen.
Glauben im Sinne des Priestertums aller Gläubigen
Im Zentrum meines persönlichen Verständnisses im Sinne des "Priestertums aller Gläubigen" steht das, was wir "Vertrauen" nennen.
Vertrauen ist immer ein Wagnis und wird gewonnen in der Familie und bei Erlebnissen, die wir in einem langen Leben machen.
Vertrauen gründet auf persönliche Erfahrung.
Vertrauen auf Menschen und Vertrauen auf Gott, wie er in der Bibel bezeugt ist.
Christlicher Glaube ist nach diesem Verständnis kein Synonym für "für wahrhalten".
Vertrauen lässt sich nicht von Mensch zu Mensch übertragen wie "naturwissenschaftliche Wahrheiten".
Wenn ich meinem Sohn glaube oder vertraue, ist diese meine Behauptung nicht empirisch überprüfbar. Selbst ein Richter würde in
einem Urteilsspruch sich nicht auf mein Vertrauen auf den Sohn stützen dürfen; er brauchte für ein Urteil juristisch valide "Beweise".
Als man mir selbst im Klinikum Stuttgart mit Hilfe der Kernspintomographie am Bildschirm zeigte, dass in meinen Kopf ein gutartiges
Adenom (eine Geschwulst) auf beide Sehnerven drückte, blieb medizinisch-naturwissenschaftlich nur die Wahl zwischen Operation oder Blindheit.
Die Kernspintomographie ist übrigens ein Gemeinschaftswerk von Physik, Elektrotechnik, Informatik und Medizin; sie ist eines
der modernsten Verfahren der Bilderzeugung und inzwischen in der Medizin unentbehrlich. Es beruht auf naturwissenschaftlicher
Wahrheit und weltweit erfolgreichen Anwendungen.
Ein Neurochirurg aus dem Klinikum Stuttgart informierte mich vor der Operation. Ihm vertraute ich. Das Ergebnis bestätigte das
Wagnis meines Vertrauens in den Neurochirurgen und sein Team.
Ob eine weitere Person, der ich das Stuttgarter Team für eine entsprechende Operation hätte empfehlen können, ihrerseits dem
Team vertraut hätte, hätte nur die Person selbst entscheiden können.
Aufgrund vieler persönlicher Vertrauens-Erfahrungen seit Jahrzehnten vertraue ich auch auf das, was Christus über Gott und unser
Verhältnis zum Nächsten oder "Nachbarn" gesagt hat.
Und wenn es mir trotz aller Mühe nicht gelingen sollte, Mitmenschen wirksam zu helfen, hoffe ich auf Gottes Barmherzigkeit.
Ob die Endlichkeit oder die Unendlichkeit der Welt "wahr" ist, mit beidem können wir gut leben.
Ohne Vertrauen, ohne Solidarität oder ohne Hoffnung können wir unser Leben nicht bestehen.
Dies mein Vertrauen oder meine Hoffnung auf ein "Leben nach dem Tod", kann ich nicht auf Sie, meine Damen und Herren, die Sie
mir zuhören, übertragen.
Existenzielle Entscheidungen kann jeder nur für sich treffen - mit Gottes Hilfe!
Fazit
(Natur-)Wissenschaften helfen, die Welt zu verstehen, Glaube das eigene Leben zu bestehen.
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